100.000 Postkarten aus dem 19. und 20. Jahrhundert

Größte Palästina-Israel-Postkarten-Sammlung verschenkt

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100.000 Postkarten aus dem 19. und 20. Jahrhundert

Historische Postkarte von Jerusalem.

Historische Postkarte von Jerusalem. (© Hebräische Universität Jerusalem)

JERUSALEM (im) – Es war eine Sensation für die Hebräische Universität in Jerusalem: Sie bekam über 100.000 Postkarten aus dem 19. und 20. Jahrhundert vom britischen Sammler David Pearlman geschenkt. „Ich habe sie all die Jahre in Schuhkartons in meiner Garage aufbewahrt. Ab einem bestimmten Punkt wurde die Sammlung so groß, dass ich mein Auto auf der Straße abstellte, um Platz für mehr Schuhkartons zu schaffen“, sagt Pearlman. Es ist die weltweit größte Sammlung mit Motiven des Heiligen Landes, die künftig in Teilen der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen. In der heutigen Zeit, in der Nachrichten per Kurznachricht über WhatsApp, Twitter oder Facebook verschickt werden, sind diese Karten eine Relikt einer längst vergangenen medialen Epoche, in der jede Nachricht bezahlt werden musste in Form von Postkarte und Briefmarke und Tage, manchmal sogar Wochen, benötigte, um den Empfänger zu erreichen.

David Pearlman Postkarten

David Pearlman schenkt der Hebräischen Universität 100.000 historische Postkarten. (© Hebräische Universität Jerusalem)

„Ich habe als kleiner Junge angefangen, Briefmarken zu sammeln, und bin zu Postkarten übergegangen, als mir klar wurde, dass ich diese schönen Karten sammeln kann, anstatt langweiliger Briefmarken“, erinnert sich Pearlman. Heutzutage werden teils Dutzende Nachrichten pro Tag an einen Empfänger verschickt, „kostet ja nichts“. Im ausgehenden 19. Jahrhundert kam keiner auf die Idee, dieses mit Postkarten zu tun, alleine schon aus Kostengründen. Postkarten waren damals Reiseandenken, visuelle Belege für des Reisenden für die Dahemigebliebenen, manchmal Belge, wo man überall gewesen ist. Das ist heute im digitalen Zeitalter nicht anders. Eine Reise nach Jerusalem oder an den See Genezareth war Ende des 19. Jahrhunderts aber etwas, das sich nur die Wohlhabenden leisten konnten. Doch auch schon damals war die Region auf Touristen eingestellt und Bildpostkarten waren äußerst beliebt bei den Reisenden.

Historische Postkarte aus Haifa

Historische Postkarte aus Haifa zu Zeit Kaiser Wilhelm II. (© Hebräische Universität Jerusalem)

Über sechzig Jahre lang durchsuchte Pearlman – ein Buchhalter bei Tag und ein Sammler bei Nacht – Auktionshäuser, Privatsammlungen und Immobilienverkäufe, um seine Sammlung „Postkarten von Palästina“ zusammenzustellen. Mit 130.000 Postkarten ist sie die größte seiner Art weltweit. Die Sammlung dokumentiert die Geschichte Israels von der osmanischen Zeit über das britische Mandat bis zu den frühen Pionieren vom Sechs-Tage-Krieg bis zum frühen 21. Jahrhundert. Es dokumentiert historische Ereignisse von General Allenbys Besuch in Jerusalem im Jahr 1917 und Lord Balfours Teilnahme an der feierlichen Eröffnung der Hebräischen Universität im Jahr 1925 bis zur Gründung des Staates Israel und der Entstehung neuer Städte wie Tel Aviv.

Die historischen Postkarten ordentlich sortiert in Schuhkartons.

Die historischen Postkarten ordentlich sortiert in Schuhkartons. (© Hebräische Universität Jerusalem)

Als der deutsche Kaiser Wilhelm II Jerusalem im Jahr 1898 besuchte, gab es für Fotografen alle Hände voll zu tun. Und die Postkarten-Hersteller ebenso. Der Kaiser weihte die neu erbaute Erlöserkirche in der Altstadt ein, „entweihte“ dafür das Jaffa-Tor, aus dem er Hunderte Steine entfernen ließ, um mit Kutsche und Gefolge hindurchfahren zu können. Alle Herrscher, die auf kriegerische Weise die Heilige Stadt eroberten, hatten mehr Ehrfurcht als der deutsche Kaiser. Sie würdigten den unterlegen Feind, indem Sie von ihrem Ross abstiegen und zu Fuß die Stadt betraten. Wilhelm ließ an die Anfang des 20. Jahrhunderts neu entstehende Himmelfahrtkirche einen Kaisersaal anbauen, über der Orgel im Kirchenraum in der Himmelfahrtkirche ließ er sich Gott gleich in der Mitte des Deckengemäldes verewigen.

Historische Ansichtskarte von Bethlehem.

Historische Ansichtskarte von Bethlehem. (© Hebräische Universität Jerusalem)

Die Provinz Palästina des Osmanischen Reiches hatte aber noch weit mehr fremdländische Fotomotive zu bieten, die in alle Welt per Postkarte verschickt werden konnten: Beduinen in der Wüste, jüdische Siedler in Galiläa, britische Soldaten während des 1. Weltkriegs – alles, was sehenswert erschien wurde fotografiert und als Ansichtskarte tausendfach reproduziert. Später im 20. Jahrhundert war es nicht weniger interessant, die britische Mandatszeit folgte und ab 1948 der Aufbau des ersten jüdischen Staates. Noch immer gibt es Ansichtskarten von Jerusalem und Israel, aber die dankbaren Abnehmer sind rar und zählen meist zur älteren Generation. Viele der historischen Karten sind von den Besitzern achtlos weggeworfen worden, spätestens wenn die Erben den Nachlass aufteilten. Dem in London lebenden Historiker und Ansichtskarten-Sammler David Pearlman dienten die Postkarten aus dem Heiligen Land des 19. und 20. Jahrhunderts als unschätzbares Fenster in die moderne Geschichte des Landes Israel und decken praktisch alle Lebensbereiche ab: Religion, Architektur, Moderne, soziales Leben, historische Ereignisse, Kunst, Politik und Reisen. Pearlman hat großzügig beschlossen, seine Sammlung über die British Friends of Hebrew University an das Folklore Research Center des Mandel Institute of Jewish Studies der Hebrew University (HU) zu spenden.

Die Postkarten-Sammlung erreicht Israel.

Die Postkarten-Sammlung erreicht Israel. (© Hebräische Universität Jerusalem)

Eine weitere interessante Facette der Sammlung ist die Fülle an Kunstwerken führender Bezalel-Künstler des 20. Jahrhunderts wie Meir Ben Gur Aryeh, Ephraim Lilllien und Zeev Raban sowie die Fotografie von „Karimeh Abbud – Lady Photographer“, einer der ersten Fotografinnen in der arabischen Welt. Ein beträchtlicher Teil der Sammlung sind Postkarten für christliche Pilger, die von Ägypten nach Jerusalem und Damaskus kamen, die heiligen Stätten auf dem Weg besuchten und ihren Lieben Postkarten mit Kamelen, Palmen, Beduinen, Hassiden, dem Toten Meer meist mit Sprüchen dekoriert. „Eine klassische Nachricht würde lauten: ‚Gestern waren wir in Bethlehem. Heute sind wir in Jerusalem. Morgen fahren wir nach Nazareth. Es ist heiß hier! “, sagt Dr. Dani Schrire, Direktor des Folklore-Forschungszentrums der HU,

Tel Aviv Mittelmeer 1960

Tel Aviv und das Mittelmeer waren schon in 1960er-Jahren sehr beliebt. (© Hebräische Universität Jerusalem)

„Der bewegendste Teil dieser Geschichte ist David Pearlmans Leidenschaft für die Sammlung. Sie können sehen, dass es wirklich eine Sammelleidenschaft mit Herzblut war und wir sind dankbar, dass er sein Lebenswerk unserer Universität anvertraut hat“, sagt Nigel Salomon, Geschäftsführer der British Friends of Hebrew University. „Es ist auch faszinierend, die Postkarten zu lesen, die britische Tommies, die in Palästina stationiert waren, während des Ersten Weltkriegs nach Hause geschickt haben.“ In einer solchen Postkarte schreibt ein Soldat namens Walter an seine Eltern: „Ich kann ‚Mafish‘ sagen, was ‚genug‘ bedeutet [auf Arabisch ‚] … und ich hoffe, der Krieg wird bald [enden], damit ich wieder nach Hause gehen kann.“ Ein anderer Soldat schrieb: „Ich bin hier durchgekommen … zwischen Mt. Ebal und Mt. Grizim … Es ist natürlich der Sichem, in dem Jacob seine Herden fütterte und Jacobs Brunnen hier ist. Es gibt viele Quellen und folglich Gärten, in denen ich das erste Grün gesehen habe seit Monaten.“ Ein anderer britischer Soldat staunte über die biblische Resonanz der Städte um ihn herum. Er schickte seinen Eltern eine Postkarte vom See Genezareth und schrieb diese Nachricht auf die Rückseite: „Dies ist die Aufnahme, die ich gerne mehr als jeder andere in Palästina sehen würde, aber ich erwarte nicht, die Gelegenheit dazu zu haben. Der Mann im nächsten Bett war dort oben mit der Kavallerie. Das Wasser ist wunderschön sauber und es fließen mehrere schöne Bäche hinein. Während sie dort waren, konnten sie frischen Fisch bekommen, was eine schöne Abwechslung zum „Bully [Rindfleisch]“ war … Der See, der so viel von seinem Leben auf Erden sah und der meiner Meinung nach so faszinierend ist.

General Allenby am Jaffa-Tor in Jerusalem - zu Fuß.

General Allenby am Jaffa-Tor in Jerusalem – zu Fuß. (© Hebräische Universität Jerusalem)

Die Bedeutung der Sammlung liegt laut Schrire nicht nur in der Quantität. David Pearlman recherchierte ausführlich über seine Postkarten und versorgte HU-Forscher mit wertvollen Anmerkungen und einem vollständigen Katalog seiner Sammlung, der 1.500 Postkartenverlage umfasst. Und Pearlmans Geschenk ist jetzt in guten Händen: „In gewisser Weise wollte Pearlman, dass diese Karten nach Zion an die Hebräische Universität von Jerusalem zurückkehren. Sobald eine Sammlung eintrifft, ziehen wir Konservierungsspezialisten hinzu, um die Sammlung auf höchstem Niveau zu erhalten. Und dann beginnt der wahre Spaß: HU-Forscher aus verschiedenen Disziplinen freuen sich darauf, an der Sammlung zu arbeiten und die Vorstellungskraft zu verstehen, die das Land Israel bei seinen vielen Besuchern hatte.“

Jaffa Street im historischen Jerusalem.

Jaffa Street im historischen Jerusalem. (© Hebräische Universität Jerusalem

Präsident Asher Cohen kommentierte dieses einzigartige Geschenk an die Hebräische Universität: „Diese außergewöhnliche Sammlung von Postkarten hat ihren Weg nach Jerusalem gefunden. Sie schließt sich unseren anderen bemerkenswerten Sammlungen an, Albert Einsteins persönlichen und akademischen Arbeiten und dem jüdischen Filmarchiv von Steven Spielberg.“ Auf die Frage nach seiner Lieblingspostkarte teilte Pearlman mit: „Ich habe keine Lieblingspostkarte, aber es ist die gesamte Sammlung, die sich als Teil meiner Familie anfühlt. Sie sind alle meine Favoriten. Es ist, als würde man ein Stück Geschichte berühren “, schloss er.

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