„Stern“ zeigt Vielfalt der jüdischen Bibelauslegung
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„Stern“ zeigt Vielfalt der jüdischen Bibelauslegung

Die Thorarolle während einer Bar Mitzwa-Feier an der Westmauer (Klagemauer) in Jerusalem. (Foto: Matthias Hinrichsen)

Die Torarolle während einer Bar Mitzwa-Feier an der Westmauer (Klagemauer) in Jerusalem. (Foto: Matthias Hinrichsen)

Im zweiten Teil seiner Serie „Die heiligen Schriften“ stellt das Magazin „Stern“ die Tora und den jüdischen Glauben vor. Dabei liegt – nicht ganz unerwartet – ein Schwerpunkt auf der „kaum überschaubaren Zahl von Alltagsgeboten“. Doch Redakteur Teja Fiedler geht auch auf die Flexibilität ein, mit der Juden im Laufe der Jahrhunderte Gottes Wort auf ihre jeweilige Situation hin ausgelegt haben.

Thorarolle. (Foto: Matthias Hinrichsen)

Torarolle. (Foto: Matthias Hinrichsen)

In dem gut recherchierten Beitrag stellt der Autor anschaulich dar, wie heilig die Tora für gläubige Juden ist. Zur Torarolle schreibt er: „Hergestellt aus makellosen Materialien mit hoher handwerklicher Kunst, aufgerollt an zwei Stäben, oft aus Elfenbein, eingehüllt in ein kostbares Tuch, umgürtet und gekrönt wie eine Königin, wird sie meist in einem Schrein aufbewahrt, dem sich die Gläubigen nur mit Ehrfurcht nähern.“ Eine große Bedeutung komme auch der mündlichen Überlieferung zu, die nach jüdischer Tradition ebenso wie die fünf Bücher Mose und die restlichen Bestandteile der Hebräischen Bibel am Sinai offenbart wurde. Sie findet sich vor allem in der Mischna, einer Sammlung von Lehrsätzen, und der sie auslegenden Gemara. Im 8. nachchristlichen Jahrhundert wurden diese beiden Schriften zum babylonischen Talmud zusammengefasst, der allerdings in den folgenden Jahrhunderten weiter kommentiert wurde – bis heute.

Fiedler führt zudem aus, wie ein Teil der 613 Ge- und Verbote in der Tora durch spätere Auslegung relativiert wurde. „Das Verhängen der Todesstrafe wurde an so viele Bedingungen geknüpft, dass es praktisch unmöglich wurde, sie zu vollstrecken“, zitiert der „Stern“-Redakteur den Berliner Rabbiner Walter Homolka.

Im Hintergrund ist der Thoraschrank zu sehen. (Foto: Matthias Hinrichsen)

Im Hintergrund ist der Toraschrank zu sehen. (Foto: Matthias Hinrichsen)

In den Geboten gefangen oder geborgen?

„Heute muss der Gläubige von der Wiege bis zur Bahre ’nur‘ noch 60 bis 80 Grundregeln befolgen, die je nach Schule mehr oder weniger streng ausgelegt werden. Sie sind im Lauf der Jahrhunderte durch ausufernde Auslegungen und den Einfluss regionaler Sitten zu einem feinmaschigen Netz religiösen Brauchtums geworden, in dem das jüdische Leben gefangen ist“, schreibt der Autor, lässt aber direkt im Anschluss den orthodoxen Rabbi Langnas aus München zu Wort kommen: „Nicht gefangen, geborgen. Im Kern gehen sie alle auf das zurück, was in der Thora geschrieben steht, also was Gott geboten hat.“ Als Beispiele für jüdische Gebote beschreibt Fiedler die Speisegesetze und die Ruheregeln für den Schabbat. Dabei zeigt er auf, wie sie an moderne Lebensverhältnisse angeglichen wurden.

Der Redakteur geht ferner auf eine Frage ein, die auch Christen bewegt: Inwieweit ist die heilige Schrift direkt Gotteswort? Er stellt zwei Hauptströmungen vor: die orthodoxe und die liberale Deutung. Erstere vertritt aus seiner Sicht eine „fundamentalistische“ Sicht, während Letztere die fünf Bücher als „Menschenwerk mit zeitbedingten Unzulänglichkeiten, mit Irrtümern und historisch-kulturell gefärbten Aussagen“ ansehe. Doch auch für die Liberalen sei die Thora ein heiliges Buch.

Die Thora in Buchform. (Foto: Matthias Hinrichsen)

Die Tora in Buchform. (Foto: Matthias Hinrichsen)

Fiedler hat sich gut in die Vielfalt des jüdischen Glaubens hineingedacht. Allerdings erscheint die Bebilderung durch den „Stern“ als inkonsequent. So sind Gottesdienstteilnehmer in der großen Synagoge von Budapest abgebildet, die den Versöhnungstag Jom Kippur begehen. Doch an diesem hohen Feiertag ist Fotografieren zumindest in orthodoxen jüdischen Kreisen verboten. Die Gesetzgebung am Sinai wird zudem durch eine „christliche Darstellung aus dem 19. Jahrhundert“ illustriert, auf der Gott in den Wolken thront. Dies ist nach jüdischer Tradition wegen Gottes Heiligkeit ebenso abzulehnen wie die Verwendung des Gottesnamens, der auf die vier Buchstaben JHWH zurückzuführen ist. Ein Bild von Siedlern, die aufgrund der heiligen Schrift Boden im Westjordanland für sich beanspruchen, darf natürlich auch nicht fehlen.

Als Ergänzung zu dem Artikel finden sich kompakte Antworten auf die „wichtigsten Fragen“ zur Thora und Hinweise auf weiterführende Literatur.

Die weiteren drei Folgen der „Stern“-Serie erscheinen in den kommenden Wochen. Zunächst geht es um „Christentum – die Bibel„. Darauf folgen „Buddhismus – das Tripitaka“ und „Hinduismus – die Veden“. Zum Auftakt hatte das Magazin den Koran vorgestellt.

(E. Hausen / www.israelnetz.com)

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