Schriftsteller Marko Martin von Ha’aretz geadelt
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Schriftsteller Marko Martin von Ha’aretz geadelt

Marko Martin im Gespräch mit Matthias Hinrichsen vom IsraelMagazin in Israel. (© Matthias Hinrichsen)

Marko Martin im Gespräch mit Matthias Hinrichsen vom IsraelMagazin in Israel. (© Matthias Hinrichsen)

ROSH PINA (im) – Der deutsche Publizist und Schriftsteller Marko Martin hat vor vier Monaten sein achtes Buch veröffentlicht, „Kosmos Tel Aviv: Streifzüge durch die israelische Literatur und Lebenswelt“ heißt es. Nach Rezensionen in Süddeutscher Zeitung, taz und Jüdischer Allgemeinen – um nur einige deutsche Medien zu nennen – wurde es vor zwei Tagen in der israelischen Tageszeitung Ha’aretz vorgestellt und erfuhr eine äußerst positive Kritik. Heute meldete sich Channel One des israelischen Fernsehens für ein Interview mit Gal Ochovsky, einer Kapazität in der israelischen Medienlandschaft. Wir trafen Marko Martin im Norden Israels auf einer seiner Recherche-Reisen.

„Kosmos Tel Aviv: Streifzüge durch die israelische Literatur und Lebenswelt“ von Marko Martin.

Wie haben Sie die Rezension in der Ha’aretz aufgenommen?
Marko Martin: Ich habe mich natürlich riesig gefreut, es ist eine Art Ritterschlag. Ha’aretz ist die führende Tageszeitung Israels und mein Buch ist gedacht als ein Dankeschön für das Land, um etwas zurückzugeben, was mir das Land und seine Menschen gegeben haben. Wenn das wiederum wahrgenommen wird und auf Freude stößt ist meine Dankbarkeit noch größer.

Das war jetzt etwas allgemein formuliert. Was denken Sie, dass es Ihnen gegeben hat?
Ich bin seit 1991 regelmäßig in Israel und die Begegnungen, die ich hatte, speziell mit Schriftstellern – aber nicht nur – obwohl sich das Buch konzentriert auf Autoren, mit Romanciers, mit Dichtern, hat mir dahingehend sehr viel gegeben, dass ich einen Eindruck bekommen habe von der Komplexität des Landes und von der Großherzigkeit seiner Bewohner.

Wie groß ist das Spektrum an Interviewten?
Es reicht vom „great old man“ der israelischen Literatur, Yoram Kanjuk, der vor zwei Wochen gestorben ist, über Alexander Spiegelblatt, einen Holocaust-Überlebenden der auf Jiddisch schreibt, bis hin zu Autoren meiner Generation, die ihre Erfahrungen vom Partyleben, aber auch von der Armeezeit in ihren Romanen verarbeiten und es auf eine sehr spannende, aber auch sehr ernsthafte Weise tun.

Wie haben die Protagonisten reagiert auf die Interview-Anfragen?
„Hallo Kollege, komm vorbei.“ Das war alles. Keine große Ansage, keine Attitüde, keine Hierarchien, sondern man kommt einfach rein, man trifft sich in der Wohnung oder im Café und man stellt dann gar nicht großartig Fragen, sondern ist sofort mitten in einem Gespräch, wo man sich gegenseitig unterbricht, Meinungen austauscht, und das ist ein Lernprozess, der ein Denkvergnügen ist. Und wenn man in einem Café sitzt mit einer tollen Bedienung, nebenbei Eiskaffee schlürft und dann sozusagen über Gott und die Welt spricht in einer ernsthaften aber entspannten Weise, ist das eine Atmosphäre, wie ich sie nur in Israel erlebe.

Sie sind in der DDR geboren, aufgewachsen und haben das Land mit 19 Jahren als Kriegsdienstverweigerer mit Ihrer Familie verlassen, noch vor der Grenzöffnung. Was hat Sie geprägt, nach Israel zu kommen?
Wenn man ein Land verlässt, weil man sich dort nicht wohl fühlt, wie das in meinem Fall gewesen ist, hat man eine automatische Nähe zu Leuten, die ebenfalls einen familiären Hintergrund haben, der geprägt ist von Weggehen und Ankommen. Man versteht sich sozusagen beinahe blind, weil es über alle politischen, zeitlichen und geographischen Unterschiede hinweg eine Erfahrung gibt, dass man Dinge nicht als garantiert nimmt, sondern sich in der Flexibilität bewahrt und den Willen und auch die Lust aufzubrechen und sich auf Neues einzulassen und neugierig zu sein.

Marko Martin. (© Matthias Hinrichsen)

Marko Martin. (© Matthias Hinrichsen)

Was haben Sie aus diesem Buch gelernt?
Speziell auf Israel bezogen habe ich gelernt, dass es hinter jeder Wahrheit eine andere Wahrheit gibt, und dass die deutsche Medienperspektive sehr oberflächlich ist. So oberflächlich, dass nicht mal das Gegenteil wahr ist. Während man in Israel plötzlich einen Gedanken davon bekommt, wie vielfältig die arabisch-jüdisch-palestinensische Problematik ist. Ich habe mit israelischen Juden gesprochen, ich habe mit israelischen Arabern gesprochen, und etwas, was in Deutschland auch unbekannt ist, dass das Diskussionsniveau hier in Israel ist sehr ausgeprägt, lebhaft, nuanciert.

In Deutschland erscheint es aber nicht lebhaft.
Das wird in Deutschland nicht wahrgenommen, dass es hier lebhaft ist. In Deutschland gibt es oft die rhetorische Frage, aber man wird Israel doch mal kritisieren dürfen. Und die Antwort ist Ja, aber weshalb. Das machen die Israelis selbst schon sehr gut, das sind wahre Champions in der Selbstkritik. Und man wird kaum einen Israeli treffen, der zuerst mit den Fingern auf andere zeigt, sondern die klugen Israelis werden auch davon erzählen, wie der Anteil der eigenen Verantwortung ist. Das heißt, man trifft auf eine Ernsthaftigkeit der Diskussionskultur, die nicht nur auf ältere, auf weise Leute beschränkt ist, sondern es beginnt mit jungen Partygehern, die 18 Jahre alt sind, zur Armee kommen, dann in Tel Aviv feiern, sich allerdings nicht besinnungslos die Kante geben, sondern ihre Erfahrungen aus der Armeezeit immer bei sich tragen und auch gerne mit dem ausländischen Gast teilen, sofern der Gast dann wirklich neugierig ist und nicht nur seine Vorurteile bestätigt finden will.

Sind diese Vorurteile bei Deutschen, die nach Israel reisen und gleichermaßen bei denen, die Israel nicht besuchen vorhanden?
Bei denen, die nicht nach Israel kommen, sind die Vorurteile größer. Bei denen, die in Israel gewesen sind, gibt es einen Reifeprozess, der plötzlich sagt: Oha, die Sache ist viel komplexer und vielschichtiger, als man gedacht hatte. Ich kenne keinen einzigen, der in Israel gewesen ist und berührt gewesen ist von der Herzlichkeit in diesem Land.

Was berührt Sie selbst am meisten in diesem Land?
Konflikte nicht unter den Teppich zu kehren, sondern auszuhalten und auszudiskutieren.

Und außerhalb der Politik?
Natürlich das Klima, die Mischung aus weißem Strand, Palmen und schönen und klugen Menschen, diese Mischung ist unschlagbar. Ich nenne es für Tel Aviv Hedonismus mit Hirn. Es ist eine Lebensfreude, es ist ein Lebensgenuss, der trotzdem den Gehirnkasten nie ausschaltet. Und diese Mischung ist für mich, ich würde sagen, weltweit einmalig. Parties, schöne Landschaften oder was auch immer, kann man überall finden, aber in dieser Mischung aus Lebenssucht und Ernsthaftigkeit kann man das nur in Israel finden.

Wird das aktuelle Buch „Kosmos Tel Aviv“ auf Hebräisch erscheinen?
Man hat mir gesagt, und ich habe das ungeheures Lob erfahren, dass es bis jetzt in der hebräischen Sprache keine Art vergleichbares Kompendium der israelischen Literatur gibt, weil auf einem engen Raum – Israel ist so groß wie das Bundesland Hessen – und bei einer Bevölkerungszahl von sechs Millionen Einwanderern, gibt es unzählige Schriftstellergenerationen und unzählige Arten zu schreiben, und zwischen denen gibt es nicht unbedingt starke Verbindungen. Es sind wie Inseln, auf denen sich jeder bewegt und ich bin von Insel zu Insel gesprungen, habe daraus ein Buch gemacht und man sagte mir, es ist sozusagen eine Art Sammelwerk, das Überblick gibt über die moderne israelische Literatur …

… also auch für Israelis interessant?
Auch für Israelis sicherlich interessant und für deutsche Leser, weil es verbleibt nicht im Rahmen von Interviews und Gesprächen mit Schriftstellern, sondern ich toure natürlich durch’s Land, schaue mich in Tel Aviv um. Und die Begegnungen, die es dort gibt – nicht unbedingt mit Intellektuellen – sind mindestens genauso spannend. Ha’aretz hat geschrieben, dass, was mir nach Mitternacht erzählt würde, wäre noch spannender als die Romane der Schriftsteller. Gut, das kann ich nicht beurteilen.

Haben Sie ein kurzes Beispiel für solch eine Begegnung?
Ich war in einer Bar. Man kommt mit den Leuten sofort ins Gespräch. Man muss da nicht lange dumm herumstehen. Und einer der Israelis, es stellte sich heraus, 19 Jahre, absolviert gerade seinen Militärdienst, ist ein großer Fan deutscher Schlager. Und er sagte, es gibt dieses wunderschöne deutsche Lied von Vicky Leandros „Theo, wir fahren nach Lodz“. Das ist die humoristische Ebene. Dann macht er eine kurze Pause und sagt: Meine Großeltern kommen aus Lodz, sie haben dort den Holocaust überlebt, das Lager Litzmannstadt war ein Vernichtungslager der Nazis, mein Großvater war Rabbiner, man hat ihn gezwungen eine Grube zu schaufeln, dann hat man ihn erschossen und in der Grube verscharrt. Das ist die andere Begegnung, das ist die andere Assoziation zu Lodz. Und dann sagt er aber: Don’t worry, its over. Und dann hört man als Deutscher diese Geschichten, ist geradezu berührt von diesem Großmut und dieser Großherzigkeit. Und man hat dann doch Mühe keine Tränen in die Augen zu bekommen.

Wie würden Sie aus Ihrer Sicht Israel in einem Satz beschreiben?
Eine von außen bedrohte, im Inneren ungeheuer vitale und diskussionsfreudige Demokratie, der wir unsere Solidarität nicht versagen sollten.

Das Interview führte Matthias Hinrichsen.

Buchempfehlung

Marko Martin

Kosmos Tel Aviv: Streifzüge durch die israelische Literatur und Lebenswelt

Wehrhahn, Hannover
ISBN-13: 978-3865252937
224 S., 19,90 Euro

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