„Dürfen“ Juden Wagner humoristisch betrachten?
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„Dürfen“ Juden Wagner humoristisch betrachten?

Einen wundervollen Abend mit

Einen wundervollen Abend mit „Dem jüdischen Wagner“ erlebten rund 100 Besucher. (© Heiko Jacobs)

HANNOVER (im) – Wagner und Antisemitismus werden zuhauf anlässlich des 200. Geburtstags von Richard Wagner, einem deutschen Komponisten, medial und in persönlichen Gesprächen thematisiert. Wagner sei ein Antisemit gewesen, so heißt es vielfach und wird unleugbar zitiert. Dem trotzen die Führenden dieser Republik und feiern ihn, wie sie jedes Jahr auch Bayreuth feiern. Oder erfreuen sie sich nur der Musik? Vermeintlich brisant wird es, wenn Juden sich für Wagner begeistern. Vor wenigen Tagen stand „Der jüdische Wagner“ in der Villa Seligmann auf dem Programm. Welch eine sonderbare Kombination aus deutscher nicht-jüdischer Sicht, der sich der Vergangenheit seines Heimatlandes bewusst ist!

Gekonnt hatte Dr. Heiko Jacobs, Geschäftsführer der Villa Seligmann, zwischen den Klavierwerken aus „Schultze und Müller im Ring des Nibelungen“ des jüdischen Humoristen Alexander Moszkowski vorgetragen, sehr zum Vergnügen der rund 100 Besucher. Erika Lux, Professorin an der Musikhochschule Hannover, präsentierte auf ganz erkorene Weise die acht Stücke des festlichen Abends, von der Overtüre zu der Oper „La Reine de Chypre“ von Jacques Fromenthal Halévy bis zu „Isoldens Tod“, der Schluss-Szene aus „Tristan und Isolde“ von Richard Wagner in der Bearbeitung des jüdischen Komponisten Moritz Moszkowski.

Das Wagner-Bashing hat sich besonders bei einigen Menschen jüdischer und nicht-jüdischer Herkunft etabliert, die nebulös antisemitische Ansätze erkennen wollen bei nicht-antisemitischen Beiträgen, und dann blindlings in Internet-Foren wettern, ohne ein Fünkchen tiefer gehendes Wissen zu haben und mit gewisser Realitätsabstinenz. Schon fühlen sie sich am Abend wie Helden, für Israel und die Juden wieder einmal erfolgreich eingetreten zu sein. Einer dieser Verlorenen rief am Eingang der Veranstaltung zum Boykott von Wagner-Veranstaltungen auf, wollte die Besucher – die eigentlich Betroffenen – bekehren, man dürfe Wagner nicht humoristisch herunter spielen, dazu sei die Angelegenheit zu ernst. Es gibt sie immer noch, die Deutschen, die Juden vorschreiben möchten, was sie zu tun haben. Oder könnte es sein, dass er gar nicht wusste, wer eingeladen hatte?

Prof. Andor Izsák, Gründer des Europäischen Zentrums für Jüdische Musik, und Mit-Initiator dieses Abends sagt über sein Verhältnis zu Wagner und den Diskussionen: „Das Wichtigste, was wir jetzt machen müssen, ist die Aufgabe unserer Zeit, ihn von den Nazis zu entreißen und ihn nicht denen überlassen, die ihn missbraucht haben. Viele Künstler haben im Dritten Reich aktiv mitgestaltet und sind heute gefeierte Komponisten. Nur mit Wagner, der in der Nazi-Zeit nicht einmal gelebt hat, hat man ein Problem. Ich möchte jetzt nicht für den Antisemiten Wagner ein gutes Wort einlegen, das ist nicht meine Aufgabe. Aber für seine Musik stehe ich ein, und die will ich nicht einfach anderen überlassen – oder weil die anderen ihn vergöttern – ihn nicht lieben wollen. […] Ich kämpfe nicht für den Menschen Richard Wagner. Den Menschen sehe ich genau so wie alle anderen, da gibt es keinen großen Unterschied. Aber die Musik will ich mir nicht nehmen lassen, genauso wenig wie ich die Matthäus-Passion oder das Weihnachts-Oratorium mir nicht nehmen lasse. Ich könnte noch viele Stücke aufzählen, die ich nicht höre dürfte, wenn ich den politischen Menschen sehe.“

Geschäftsführer Dr. Heiko Jacobs, der zum Thema Wagner promoviert hatte, erläutert: „Man muss sehen, dass die Bewertungen der Wagner-Äußerungen zu dessen Zeit ganz anders waren. Nach der ersten Veröffentlichung gab es fast keine Reaktionen, erst nach der zweiten Veröffentlichung 1869 gab es viele Kommentare. Der jüdische Historiker Jacob Katz hat es objektiv dargestellt, dass die Kommentare von einer Übertreibung Wagners bis dahin, dass die Juden schlecht seien, reichten. Damals gab es noch keinen Konsens, dass Antisemitismus etwas Schlechtes ist. Heutzutage muss alles politisch korrekt sein, wie der Demonstrant draußen es auch gesehen hat, und man darf darüber nicht lachen. Aber dann darf man auch über Chaplin ‚Der große Diktator‘ nicht lachen.“

Die Veranstaltung wurde so gut angenommen, dass für den Herbst ein weiterer Termin angekündigt wurde. Ganz ehrlich, die Veranstaltung war mehr als gut, sie war „Göttlich, einzig, colossal, großartig, pyramidabel, absolut grandios …“ (Fortsetzung in „Müller’s Kritik, gez. Schultze). Auf ein Wiedersehen im Herbst in der Villa Seligmann, die einst von Siegmund Seligmann bewohnt wurde, einem jüdischen Unternehmer, der den Reifenhersteller Continental gegründet hatte – heute der viertgrößte der Welt.

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