„Töte zuerst – Der israelische Geheimdienst Schin Bet“
|

„Töte zuerst – Der israelische Geheimdienst Schin Bet“

Die kürzlich ausgezeichnete Dokumentation über ehemalige Führer des israelischen Geheimdienstes Shin Bet wie Yaakov Peri reflektieren ihre Arbeit. (© ARD)

Die kürzlich ausgezeichnete Dokumentation über ehemalige Führer des israelischen Geheimdienstes Shin Bet wie Yaakov Peri reflektieren ihre Arbeit. (© ARD)

05.03.2013 – 22.45 Uhr – ARD (Das Erste) Erstmals äußern sich in diesem Film Führungskader von Schin Bet, der generell unter größter Geheimhaltung agiert. Zu den Aufgaben des israelischen Inlandsnachrichtendienstes Schin Bet zählen Terrorismusbekämpfung, Spionageabwehr und Aufklärung staatsfeindlicher Aktivitäten. Seit dem Sechs-Tage-Krieg 1967 untersteht Schin Bet auch die gesamte nachrichtendienstliche Tätigkeit im Westjordanland und dem Gazastreifen. Der Schin Bet ist der Inlandsgeheimdienst Israels, zuständig für die innere Sicherheit Israels und der seit 1967 besetzten Gebiete, nämlich das Westjordanland und Gaza. Die Identität der Schin Bet-Mitarbeiter ist geheim – das Motto des Dienstes: die unsichtbaren Verteidiger.

>>> „Töte zuerst“ in der ARD-Mediathek (zeitlich begrenzt)

Erstmals treten in dem Dokumentarfim „Töte zuerst“ (engl. „The Gatekeepers“) alle sechs noch lebenden ehemaligen Schin-Bet-Chefs vor die Kamera und berichten offen und auch zum Teil selbstkritisch über ihre Arbeit. Über Erfolge und Niederlagen, darüber, wie sie den Sicherheitsapparat nach dem Sechstagekrieg aufbauten und zu einem der ausgeklügeltsten Überwachungssysteme der Welt machten. Sie sprechen unverhohlen über gezielte Tötungen von Palästinenserführern, über Bombenabwürfe auf Gaza, aber auch über den Terror ultraorthodoxer Juden, die den Tempelberg sprengen wollten. „Wenn einer kommt, Dich zu töten, dann steh auf und töte ihn zuerst“, so das Motto. Sie berichten über Zweifel an der politischen Führung Israels, darüber, dass ihrer Meinung nach Regierung nach Regierung ziellos und ohne klare Strategie agierte.

Niemals erzählten sie so offen und unverblümt. Ihr Fazit: Israels Zukunft ist düster, Jerusalem gewinne zwar jede Schlacht, verliere aber den Krieg. Und die Israelis seien grausam geworden – nicht nur zu den Palästinensern, auch zu sich selbst.
Derzeit läuft der Film in israelischen Kinos. Schockiert erleben viele Menschen in Israel, dass aus dem Zentrum der Macht harsche Kritik an der israelischen Politik laut wird, wie sie sonst nur von der linken Opposition kommt. „Diese Kritik an der israelischen Politik können die Leute nicht mehr ignorieren. Diese Worte kommen nicht von Amos Oz oder David Grossman, auf die die Konservativen eh nicht hören. Man mag diese Männer verehren oder verabscheuen – doch sie wissen auf jeden Fall mehr als jeder andere im Staat Israel, was wirklich vorgeht. Sie sind Pragmatiker und sie lieben ihr Land“, so Regisseur Dror Moreh.

„The Gatekeepers“ wurde auf der Berlinale ausgezeichnet. Die Dokumentation sorgt derzeit international für Aufsehen.

Der 51-jährige Moreh, selbst ehemaliger Soldat einer Geheimeinheit, beschäftigt sich schon lange in seinen Filmen mit israelischer Politik. Während der Dreharbeiten zu seinem Dokumentarfilm über Ariel Sharon (Das Erste, 2008) erklärte Sharon ihm, wie wichtig das Urteil des Schin-Bet-Chefs sei, obwohl dieser Sharons Politik sehr kritisch beurteilte. Sharon gab zu erkennen, dass diese Kritik ihn im Innersten traf, kam sie doch aus dem Herzen des Sicherheitsapparates – aus berufenem Munde.
Da wusste Moreh, das er einen Film über diese Männer im Zentrum der israelischen Macht machen wollte, deren einzige Aufgabe die Palästinenser und die israelische Sicherheit sind. Der ehemalige Schin-Bet-Chef Ami Ayalon sagte Moreh sofort zu, bei einem solchen Projekt mitzuwirken. Nach und nach bekam Moreh auch Kontakt zu den anderen ehemaligen noch lebenden Schin-Bet-Chefs: Avraham Shalom, Carmi Gillon, Yaakov Peri und Avi Dichter. Zuletzt willigte auch der bis 2011 amtierende Chef Yuval Diskin ein, nach Ende seiner Amtszeit im März 2011 ein Interview zu geben. Yuval Diskin erklärte in einem weiteren Interview mit Moreh, warum er für den Film vor die Kamera ging: Die gegenwärtige israelische Regierung sei ängstlich, sprunghaft und entscheidungsscheu. „In Israel herrscht eine Führungskrise. Unter Missachtung sämtlicher Werte werde die Öffentlichkeit verachtet“, das habe er aus nächster Nähe erlebt.

Der NDR war von Anfang an eng in das Projekt „Töte zuerst“ involviert. Aufgrund der ersten Interviews, die Moreh ohne Kamera, nur mit dem Bandgerät machte, beschloss der NDR, Koproduktionspartner in diesem Projekt zu werden. Gemeinsam mit Itay-Nevo Landsberg vom israelischen Fernsehen IBA und Marianne Levy-Leblanc von ARTE France hat NDR Redakteurin Barbara Biemann mit Regisseur Dror Moreh das komplette Rohmaterial gesichtet und eine Struktur für den Film erarbeitet. Der NDR war an allen Produktionsschritten maßgeblich redaktionell beteiligt. Die Zusammenarbeit mit Dror Moreh und Produzentin Philippa Kowarski war sehr kooperativ und vertrauensvoll. Das größte Problem war es, das umfangreiche Material zu ordnen, eine Erzählstruktur zu finden, die ein internationales Publikum nicht überfordert – und zu kürzen. Dror Moreh scherzt manchmal, er habe sein Herz, die Nieren, ein Arm und ein Bein im Schneideraum verloren.

Inzwischen feiert der Dokumentarfilm Erfolge auf der ganzen Welt. Die National Society der Film Critics der Vereinigten Staaten verlieh ihm unlängst den Preis als bester Dokumentarfilm des Jahres. Die Acadamy of Motion Pictures nominierte „Töte zuerst“ für den Oscar in der Kategorie „Dokumentarfilm“.

(Text: ARD)

Startseite